>> Blausteiner Nachrichten Nr. 22 <<
2.6.2017

Saatgut-David gegen Agroindustrie-Goliath

So spektakulär wie der Sieg des alttestamentarischen Helden dürfte der Erfolg kaum werden, aber eine neue Tomatensorte, die in zehnjähriger Arbeit von Agrarforschern der Universität Göttingen entwickelt wurde, könnte vielleicht doch immerhin als ärgerlicher Nadelstich von den führenden Agrarkonzernen empfunden werden. „Sunviva“, eine Freilandsorte mit wohlschmeckenden kleinen gelben Früchten, hat revolutionäre Nutzungsregeln: Sie gehört zu den ersten Pflanzen mit einer sogenannten „Open-Source-Lizenz“. Das bedeutet, dass diese Sorte, deren besondere Qualität in ihrer Resistenz gegen Kraut- und Braunfäule liegt, zwar geschützt ist, aber jedermann darf sie kostenlos verwenden, vermehren und weitergeben, auch Geld damit verdienen. Nur patentieren oder anderweitig schützen darf sie niemand, und das gilt auch für zukünftige Sorten, die auf der Basis von „Sunviva“ u. U. entwickelt werden. Damit sollen große Konzerne keine Möglichkeit bekommen, sich die Züchtung unter den Nagel zu reißen.

Genau Derartiges geschieht in unglaublichem Umfang, maßgeblich unterstützt von der unsäglichen Praxis des Europäischen Patentamtes, das entgegen gesetzlichen Bestimmungen eine Vielzahl von Patenten auf konventionelle Züchtungen erteilt hat, also auch auf Erbinformation, die lediglich in der Natur „ge“-funden und nicht etwa gentechnisch „er“-funden wurde. Verstärkt wird die ohnehin schon weltweit beängstigend fortgeschrittene Monopolisierung des Saatgutmarktes durch immer weitere „Elefanten-Hochzeiten“, wie sie gerade zur Zeit betrieben und äußerst kontrovers diskutiert werden.

Dabei haben die großen Saatguthersteller schon längst Wege gefunden, auf denen sie verhindern, dass sich Bauern ihr Saatgut selbst heranziehen können. Dies ist der entscheidende Hintergrund dafür, dass fast nur noch extrem mischerbiges „Hybrid“-Saatgut auf dem Markt ist, bei dem die Leistungsfähigkeit schon in der ersten Folgegeneration von Natur aus entscheidend nachlässt, so dass es also Jahr für Jahr neu gekauft werden muss, selbst wenn dies nicht schon durch Patente erzwungen wird. Die Verfilzung der Saatgutindustrie mit staatlichen Institutionen konnte erfolgreich verhindern, dass für die Entwicklung von „samenfesten“ Sorten (die also problemlos nachgebaut werden könnten) auch nur annähernd der gleiche Aufwand wie für Hybrid-Sorten betrieben wurde.

Mit „Sunviva“ haben Agrarforscher etwas Praktisches dagegen unternommen und sich die Sache mit der Open-Source-Lizenz (vergleichbar z. B. mit bestimmten Betriebssystemen für Computer) ausgedacht. Sie soll Dienstleister für Züchter werden, die ihre Pflanzen zum geschützten Gemeingut machen wollen. Anfänge dafür gibt es auch in USA, allerdings ohne Schutz gegen Patentierung bei Weiterentwicklungen. Inzwischen bearbeitet die Göttinger Arbeitsgruppe auch eine Sommerweizensorte und hat Kartoffeln ins Visier genommen. „Sunviva“ ist offiziell angemeldet und kann damit EU-weit gehandelt werden, auch wenn größere Mengen erst ab Herbst verfügbar sein dürften.

Näheres unter

Pfeil http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/open-source-saatgut-warum-die-tomate-sunviva-abgs-hat-a-1145093.html
(Spiegel-Online, 27.04.2017 „Angriff der Saat-Piraten“)

Pfeil ANJA BANZHAF: Saatgut. Wer die Saat hat, hat das Sagen (Oekom München, 2016)

 


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