>> Blausteiner Nachrichten Nr. 22 <<
1.6.2018

„Agroindustrie und Wissenschaft“

Wissenschaft verdankt ihre Anerkennung in der Öffentlichkeit dem freien und reproduzierbaren Wissensgewinn durch transparente Methodik und unter Kontrolle von Fachgutachten. Wissenschaft z. B. der Pestizid-Konzerne ist von gänzlich anderer Art. Ihre wissenschaftliche Aktivität soll die Sicherheit ihrer Produkte gemäß den gesetzlichen Regulierungen und Toxikologie-Standards belegen. Um diese gemäß ihren Interessen zu beeinflussen, wenden diese Konzerne vorab schon enorme Mittel auf – mit Erfolg. Die für Pestizide gesetzlich vorgeschriebenen Tests betreffen noch immer nur die „aktive Substanz“, nicht die tatsächlich in den Handel gebrachte Rezeptur mit allen ihren zusätzlichen Komponenten (z. B. Tenside als Lösungsvermittler), durch die z. B. Glyphosat überhaupt erst wirksam wird. Die Untersuchungserbnisse für die Produkte, mit denen Mensch und Umwelt konkret in Kontakt kommen, werden von Regulierungsbehörden meist nicht berücksichtigt.

eMails eines Pestizid-Konzerns bezüglich des meistverwendeten Glyphosat-Produkts, die im Zuge von Gerichtsverfahren veröffentlicht wurden, zeigen, dass es darauf aber wirklich ankäme und dies dem Hersteller sehr wohl bekannt ist. So heißt es in einer konzerninternen eMail schon von 2002: „Glyphosat ist o.k., aber die Produkte (und damit die Tenside) verursachen die Schädigungen“. Die tatsächliche Verkaufs-Rezeptur ist vom Konzern nie auf Kanzerogenität, auf Mittel- und Langzeit-Toxizität oder -Fehlbildungspotenzial bei Embryonen getestet worden, obwohl er von unabhängigen Studien wusste, die solche Schäden zeigten. In Reaktion darauf setzte der Konzern vielmehr alles daran, solche Ergebnisse zu unterdrücken oder zumindest zu diskreditieren.

Die Studie einer Beratungsfirma hatte gezeigt, dass ein Glyphosat-Produkt viel stärker als angenommen durch die Haut aufgenommen wird. Die Wiederholung wurde verhindert, da eine Bestätigung der Ergebnisse nach den Worten eines konzerneigenen Geschäftsführers das Potential gehabt hätte die „Risikobewertung zu sprengen“.

James Parry, ein vom Konzern beauftragter britischer Toxikologe, kam 2011 in einer Studie zum Schluss, dass Glyphosat in der Lage ist „Genotoxizität zu erzeugen“ und empfahl daher eine weitere Überprüfung. Die Reaktion des Konzern-Vertreters darauf: „Wir möchten jemanden aufstellen, der sich mit dem Genotoxizitäts-Profil von Glyphosat … wohlfühlt und der Einfluss bei Regulatoren und in der Wissenschaftsvermittlung nehmen kann … Mein Eindruck ist, dass Parry momentan nicht so eine Person ist und viel Zeit und $$$/Studien nötig wären, um ihn so weit zu bekommen. Wir werden die Studie, die Parry vorschlägt, einfach nicht machen.“

Bei vielen einflussreichen Studien über Glyphosat, die als wissenschaftliche Literatur offiziell von angeblich unabhängigen Wissenschaftler*innen publiziert wurden, konnte nachgewiesen werden, dass Konzernangestellte sie verfasst haben – also Wissenschaftsbetrug durch „Ghostwriting“.

Zum Geschäftsmodell des Konzerns gehört es nicht zuletzt, Wissenschaftler, die Unerwünschtes publizieren, anzugreifen und zu diffamieren, denn (Konzern-eMail von 2001): “Daten von Akademiker*innen haben uns schon immer große Schwierigkeiten bei der Verteidigung unserer Produkte gemacht.“ Statt die Ergebnisse abzuklären arbeitete der Konzern erfolgreich mit einem ganzen Netzwerk von Wissenschaftler*innen und Journalist*innen zusammen, um in solchen Fällen immer wieder die Botschaft zu verbreiten, dass es sich um schlechte Wissenschaft handle. So auch im Falle der aktuellen IARC-Studie der WHO, die Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hatte. Dabei kannten Konzern-Wissenschaftler*innen das Problem längst und äußerten in einer Diskussion bereits 2014: „Zwar sind wir im Bereich Epidemiologie angreifbar, aber wir haben auch Schwachstellen in anderen Bereichen, die das IARC berücksichtigen wird, und zwar Genotoxizität und Wirkungsmechanismus.“

Wissenschaftler im Dienst des Konzerns sind in einer schwierigen Lage, denn sie können ihre Forschungsergebnisse nicht nach bestem Wissen und Gewissen publizieren, sondern werden genötigt, ihre wissenschaftliche Kompetenz einzusetzen um relevante Wissenschaft zu bekämpfen statt zu fördern. Es gehört schon ein kaum glaubliches Ausmaß an Gewinnorientierung zu einem derartigem Umgang mit Gefahren für Mensch und Umwelt.

Dennoch ist die Forschung der Konzerne in der EU und anderenorts noch immer die Basis für die Bewertung durch behördliche Regulation. Dabei wäre es durchaus möglich, der Industrie die Kosten für staatliche Begutachtungen zu berechnen und durch unabhängige Wissenschaftler*innen die Forschung an den Rezepturen durchführen zu lassen, denen wir Bürger*innen und unsere Umwelt tatsächlich ausgesetzt sind. Eine solche Entscheidung wäre freilich nicht von der Wissenschaft abhängig, sondern von politischem Willen.

Quelle: PfeilGenethischer Informationsdienst 241 (5-2017), 243 (11-2017), 244 (2/2018).


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