„Geneditierter Naturschutz?“
Die rasant voranschreitende Entwicklung der neuen Gentechniken richtet sich z. T. auf gänzlich neue Ziele und stellt damit auch grundsätzlich neue Fragen für die Risikobewertung möglicher Folgeschäden für die Umwelt gegenüber der „klassischen“ Agro-Gentechnik. Besonders hervorzuheben ist, dass es nun vielfach um die Veränderung bis hin zur Vernichtung freilebender Populationen oder ganzer Arten geht – ein drastischer Gegensatz zu den Regularien für den landwirtschaftlichen Anbau von gv-Pflanzen. Die Freisetzung in die Umwelt und eigenständige Vermehrung ist hier nun das erklärte Ziel, z. B. um Korallen an den Klimawandel anzupassen oder Kastanienbäume gegen eine Pilzerkrankung resistent zu machen. Protagonisten der Gentechnik wollen darin enorme Potenziale für den Naturschutz sehen – und unausgesprochen wohl auch lukrative Marktlücken.
Doch freilebende Populationen, seien es Bäume, Insekten oder Wirbeltiere agieren in hochkomplexen Ökosystemen, deren Wechselbeziehungen nur zum Teil bekannt sind und im Labor nur sehr begrenzt nachgestelllt werden können.
Von großer Bedeutung ist dabei auch, dass nun gv-Mikroorganismen wie Viren, Bakterien oder Pilze verstärkt einbezogen werden. Diese können sich im Vergleich zu komplexeren Lebensformen schneller vermehren, anpassen und sie können Erbinformation über die Artgrenzen hinweg austauschen.
Die heutige Biodiversität ist das Ergebnis einer Millionen von Jahren tätigen Evolution, die zu einem höchst differenzierten System von Wechselwirkungen mit einer Balance zwischen dem Erhalt der Arten und ihrer fortlaufenden Weiterentwicklung geführt hat, wozu nicht zuletzt auch die Fähigkeit zu Reparaturen gehört. Neue Gentechniken können dieses System umgehen. Dabei werden ungewollte Veränderungen des Erbgutes z. T. übersehen, weil die Untersuchungsmethoden dazu vielfach nicht tauglich sind. Außerdem sind die Auswirkungen solcher Veränderungen längst nicht zuverlässig absehbar.
Die Evolution ist bei weitem komplexer und „weiser“ als die Verfechter der Gentechnik es sehen wollen. Fazit: Der Schutz der biologischen Vielfalt darf kein Fall für Versuch und Irrtum werden. Grundvoraussetzung für jegliche Freisetzung von gv-Organismen, muss eine umfassende Risikovorsorge bleiben unter Einschluss der Möglichkeit ihrer Rückholung. Nur dann können Fehler erkannt und korrigiert werden. Dies ist schon in der Landwirtschaft schwierig genug. Aus freilebenden Populationen sind Möglichkeiten der Rückholung kaum vorstellbar.
Quellen:
Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 253
Testbiotech-newsletter 8.6.20
|