„»Fortschritt« nach rückwärts“
Die mit großem Nachdruck betonte Präzision der äußerst wirkmächtigen Neuen Gentechnik (NGT, Crispr-Cas und weitere Verfahren) trifft teilweise zu, andererseits werden immer mehr Befunde bekannt von umfangreichen gar nicht beabsichtigten zusätzlichen Effekten.
Nur als ein Beispiel von inzwischen vielen sei eine Studie der Universität Uppsala genannt, bei der die DNA von
Zebrafischen nach Einsatz der Genschere Crispr-Cas untersucht wurde. Sowohl an der Zielsequenz fanden sich große weitergehende unbeabsichtigte Veränderungen wie auch in drei ganz anderen Regionen des Erbguts, die
gar nicht angesteuert waren. In einem dieser Bereiche wurden gleich 903 Basenpaare gelöscht und damit der Großteil eines Gens stillgelegt, das gar nicht verändert werden sollte.
Auf dem Hintergrund derartiger Ergebnisse müssen aktuelle Pläne der EU-Kommission zur weitgehenden Deregulierung der Neuen Gentechnik sehr beunruhigen. Sie entsprechen nicht dem Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse sondern spiegeln weitgehend die Interessen der Agroindustrie.
Sie widersprechen dem Urteil des EuGH wie auch einer Forderung des EU-Parlaments wonach die Neue Gentechnik auch weiterhin unter Aufrechterhaltung des Vorsorgeprinzips genau so reguliert werden muss wie die bisherige Gentechnik.
Ein aktueller Bericht des Bundesamts für Naturschutz unterstützt diese Kritik. Er kommt zu dem Schluss, dass Pflanzen aus Neuer Gentechnik ähnliche oder sogar noch höhere Risiken mit sich bringen als Pflanzen aus alter Gentechnik. Die bisher geltende Einzelfall-Prüfung müsse daher beibehalten werden und sie müsse zusätzlich auch unbeabsichtigte gentechnisch bedingte Veränderungen erfassen. Auch sei die Behauptung
der Kommission, genomeditierte Pflanzen könnten die Nachhaltigkeitsziele des europäischen „Green Deal“ unterstützen, wissenschaftlich nicht belegt. Dies sei vielmehr am ehesten durch Änderungen der Anbausysteme und landwirtschaftlichen Praxis zu erreichen.
Auf einen weiteren Gesichtspunkt ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen. Wie der Begriff
der „Neuen Gentechnik“ ausdrückt, sind diese Methoden noch nicht lange in Gebrauch. Es hat sich jedoch gezeigt dass es nicht-vorhersehbare Langzeitrisiken gibt durch Eigenschaften, die erst in Folgegenerationen von gv-Pflanzen erkennbar werden. So wurde festgestellt, dass gv-Raps, der resistent gegen mehrere Unkrautvernichter ist, sich inzwischen in 14 Ländern auf 5 Kontinenten unkontrolliert ausbreitet, d. h. also selbst zum „Unkraut“ geworden ist. Zum Teil überdauert er schon seit Jahren und zeigt
ein höheres Ausbreitungspotential als ursprünglich angenommen. Dergleichen kann zur Gefahr für die Biodiversität werden: In Mexiko ist gv- Baumwolle ausgewildert und drängt die dort heimischen wilden Ursprungsformen der Art zurück.
Die geschilderten Fall-Beispiele machen insgesamt deutlich, dass es für
grob fahrlässig anzusehen wäre, die Anwendung der NGT in der Landwirtschaft mehr oder weniger pauschal für „sicher“ zu erklären. Ein Verzicht auf das Vorsorgeprinzip in Gestalt der Einzelfall-Prüfung für Pflanzen aus Neuer Gentechnik wäre kein Fortschritt sondern eine Rolle rückwärts.
Quellen: Testbiotech PM 14.10.2021, 18.10.2021, 17.12.2021
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