„Natürliche Mutationen als Patent agroindustrieller Unternehmen?“
Die Gene von Wild- und Nutzpflanzen weisen zahlreiche natürlich entstandene Varianten auf, die für die Anpassung an veränderte Umweltbedingungen wichtig sind. Die natürliche Züchtung von Kulturpflanzen macht sich das zu Nutze, indem sie diejenigen Exemplare einer Pflanzenart zur Vermehrung auswählt, bei der eine gewünschte Eigenschaft besonders ausgeprägt ist. Neuerdings versuchen nun agroindustrielle Firmen sich die Nutzung von tausenden Genvarianten (sog. 'single nucleotid polymorphisms') durch entsprechende Patentanträge zu sichern. Dies betrifft zum Beispiel Mais und Soja. In den meisten Fällen wurden die jeweiligen Genvarianten in wilden Verwandten der gezüchteten Sorten entdeckt und auf diese per Kreuzung und Selektion übertragen.
Auf den ersten Blick und ohne langes Nachdenken wird man vielleicht sagen, nachdem die Firma viel Forschung und Geld investiert hat und wenn das Projekt tatsächlich zu besseren Erträgen führt, dann darf sie davon auch profitieren – wo ist da ein Pferdefuß? Der Pferdefüße gibt allerdings mindestens zwei:
Erstens ein prinzipieller: Wie kann man jemand ein Patent für etwas beanspruchen, das er gar nicht erfunden hat, sondern das in der Natur schon existiert?
Zweitens hätte eine solche Patentierung schwerwiegende Folgen für die konventionelle Züchtung: Ein Patent auf natürliche Gene bringt erhebliche rechtliche Unsicherheiten für die konventionelle Pflanzenzucht mit sich. Es dürfte beispielsweise fast unmöglich sein, herauszufinden, ob eine bestimmte Sojapflanze, die eine erhöhte Resistenz gegenüber dem asiatischen Soja-Rost zeigt, einige der rund 5.000! Genvarianten in ihrem Erbgut trägt, die in der bereits erfolgten Anmeldung eines Patentes aufgelistet wurden. Würde ein entsprechendes Patent erteilt, könnten für die weitere Züchtung nicht mehr länger alle Sorten verwandt werden. Die Züchtung könnte auch nicht einmal auf die Wildform der Soja ausweichen, weil jegliche züchterische Verwendung der betreffenden Gene durch Patente abgeblockt wäre.
Auch Landwirte, die ihr Saatgut selbst vermehren, würden ständig Gefahr laufen, wegen Patentverletzung belangt zu werden, da die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass ihr überkommenes Saatgut „Patentgene“ enthält. Ein solches Scenario erinnert an den Fall des kanadischen Rapsbauern Percy Schmeisser, der sein eigenes Saatgut vermehrt; als dieses durch Pollenflug von genverändertem 'Roundup Ready' Raps verunreinigt wurde und seine Ernte deswegen im Folgejahr auch Roundup Ready Anteile enthielt, wurde er von der Herstellerfirma verklagt und von einem kanadischen Gericht verurteilt.
Die Initiative „Keine Patente auf Saatgut“ fordert wegen dieser absehbaren Probleme, dass die Vertragsstaaten des Europäischen Patentamtes eine Konferenz einberufen, um Patente sowohl auf konventionelle Züchtungen als auch Verfahren, die auf der Verwendung natürlicher genetischer Variationen oder zufälliger Mutationen beruhen, zu unterbinden. Bis Ende des Jahres soll eine Petition mit über 250.000 Unterschriften übergeben werden – auch an die deutsche Bundesregierung (www.no-patents-on-seeds.org/de/petition).
Quellen:
Genethischer Informationsdienst Nr. 263 Nov. 2022
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